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Interview Fachblatt MusikMagazin - German original

From: Ulrich Grepel <uli@intellektik.informatik.th-darmstadt.de>
Date: Tue, 25 Aug 92 17:40:54 +0200
Subject: Interview Fachblatt MusikMagazin - German original
To: love-hounds@uunet.UU.NET

Ihr kennt das Gefvhl? Man nimmt eine LP oder CD zwischen die plumpen PatschehYndchen und hat Panik, man kpnne das geliebte Teilchen zerbrechen. Richtig schlimm wird's aber bei den Scheiben von Kate Bush.
Man will sie ganz, ganz vorsichtig mit Samthandschuhen bearbeiten. Liegt wohl daran, da{ ein Teil der Dame in den Rillen sitzt.




K A T E   B U S H 

Der Rahmen ist angemessen. Ein Landsitz aus dem 18. Jahrhundert, die zum Hotel umgebaute Nobelresidenz Chilston Park in der britischen Grafschaft Kent, bietet die Kulisse fvr eine Promotionveranstaltung, auf der Kate Bush ihre neue Platte THE SENSUAL WORLD vorstellen soll. Vier Jahre hat die 31 jYhrige Arzttochter aus Kent fvr ihr aktuelles Werk gebraucht. Jetzt ist es geschafft. Sichtlich erleichtert sitzt mir die brvnette Musikerin in ihrer gerYumigen Suite gegenvber, schlank wie bei unserem letzten Treffen vor vier Jahren. "Ich kenne mich in der Mode nicht aus", sYuselt Kate bescheiden und zupft sich das vber und vber mit Rvschen und Spitzen verzierte lachsrosa T-Shirt vber die verwaschenen Jeans. Kein Wunder, wenn man sich vier Jahre lang im Studio einigelt!

                                                 Von Christiane Rebmann

DEINE NEUE PLATTE WURDE SCHON FR LETzTES JAHR ANGEKNDIGT. WAS SOLLTE DAS VERWIRRSPIEL?

Ich habe mich damals sehr darvber geYrgert. Das Datum stammte nicht von mir. Ich mag diesen Druck einer Deadline im Studio vberhaupt nicht.

STIMMT ES, DASS DU EINE REIHE FERTIGER BNDER WIEDER GELSCHT HASST?

Die meisten Songs habe ich Schritt fvr Schritt weiterentwickelt. Einige der ganz frvhen Songs fand ich plptzlich nicht mehr gut. Deshalb habe ich davon nur ganz kleine Schnipsel behalten und sie in die anderen Songs eingebaut. Die Arbeit an diesem Album artete in eine Art Puzzlespiel aus.

EIN SEHR LANGWIERIGES SPIEL...

Ich wvnschte, es hYtte nicht so lange gedauert. Es war sehr frustrierend fvr mich. Statt da{ es von Album zu Album besser flutscht, brauche ich von LP zu LP immer mehr Zeit. Weil es mir immer schwerer fYllt, in die entsprechende Stimmung zu kommen. Deshalb habe ich mich auch immer wieder zwischendurch zurvckgezogen und mich beispielsweise mit Gartenarbeit abgelenkt.

HAT AM ENDE DER DRUCK DER PLATTENFIRMA BER DEINEN PERFEKTIONISMUS GESIEGT?

In meinem Kopf schwirrten ungefYhr 50 Stimmen herum, die sagten: "Das Album ist noch nicht fertig. Wie wYr's mit diesem Teil hier?" Zum Schlu{ habe ich all diese Stimmen zu einer Art Roundtable-GesprYch eingeladen und ein Machtwort gesprochen: Ihr habt zwar recht, es gibt noch einiges zu verbessern. Aber irgendwann mu{ Schlu{ sein."

Selbst der Bonustrack auf der CD enthYlt noch so liebevoll ausgearbeitete Details wie den Vogelschrei am Ende...

Du meinst in WALK STRAIGHT DOWN THE MIDDLE? Dazu gibt es eine nette Geschichte. Als ich den Song eines Tages meinen Freunden vorspielte, machte sich meine Mutter gerade im Garten zu schaffen. Ich schaute aus dem Fenster, und sie sah sich suchend um und sagte: "Irgendwo hier im Garten mu{ ein Pfau sein." So echt klang der Schrei! WALK DOWN war beispielsweise ein sehr frvher Track, den wir als B-Seite fvr die erste Single vorgesehen hatten. Am Ende waren wir erstaunt, wie gut er klang, mit dieser sauberen Basis von Eberhard Weber. Deshalb nahmen wir ihn als Extratrack auf die CD. Es ist wahrscheinlich der schnellste Song, den ich je geschrieben habe.

Wie viele Minuten hast du gebraucht?

18 Monate vor der Fertigstellung des Albums hatte ich Drums, Keyboards und Ba{ fertig. Dann schrieb ich den Text, nahm meinen Leadgesang und die Chorstimme auf - das alles an einem Tag -, und am nYchsten Tag machte ich noch ein paar Overdubs, und dann mischten wir den Song ab. Ganze zwei Tage also. Normalerweise brauche ich ja schon fvr die Texte eine Ewitkeit. Mit diesem hier bin ich allerdings auch nicht so ganz zufrieden.

Den Luxus, vier Jahre an einem Album zu arbeiten, kann sich ja nur jemand leisten, der ein eigenes Studio hat...

Ich glaube, ich kpnnte gar nicht mehr in einem kommerziellen Studio arbeiten. Dazu wYre ich viel zu nervps. Ich hYtte immer Angst, da{ es zu viel kostet. Au{erdem gibt es dort meistens zu viele Ablenkungen. Dauernd schneit jemand rein und borgt sich GerYte aus und hYlt ein SchwYtzchen. In meinem Studio bin ich vberhaupt nicht nervps. Ich arbeite die meiste Zeit mit meinem Freund, dem Bassisten Del Palmer. Da gibt es keine Ablenkungsmpglichkeiten. Wir kennen uns zu gut. Wir kennen die Arbeitsweise des anderen und akzeptieren sie. Ich kann im Studio schreiben und zwischendurch nach Hause gehen, dort weiterschreiben und dann wieder ins Studio zurvckkehren. Das ist ideal fvr mich. Das eigene Studio war die beste Idee, die ich je hatte. Ich bin es eben einfach gewohnt, alles selbst unter Kontrolle zu haben.

Und wie kommst du mit den Musikern klar, die dir bei den Aufnahmen helfen?

Wenn ein Musiker ins Studio kommt und seinen Teil spielt, dann kommen mir meistens neue Ideen. Dann schreibe ich manchmal noch einen Song vpllig um. Das wYre natvrlich in einem gemieteten Studio unmpglich. Wenn du die Zeit gebucht hst, mu{t du sie auch nutzen. Da kannst du nicht einfach zwischendurch nach Hause gehen.

Wieviel Einflu{ hatte Dave Gilmours Mitarbeit auf deine Songs?

Es lag mir sehr am Herzen, wieder mit Dave zusammenzuarbeiten. Und ich habe es sogar geschafft, einen Song zu schreiben, der seiner Gitarre Raum lY{t. In meinen frvheren Songs gab es nie Raum fvr Gitarrensoli. Ich hab die nYmlich nie besonders gemocht. Ich fand Gitarrensoli immer schrecklich. Aber fvr diesen Song ROCKET'S TAIL war's genau das Richtige. In dem Moment, wo die Rakete startet, verwandelt sich das Lied in einen harten Rock-'n'-Roll-Song. Und wer wYre besser fvr diesen Part geeignet als Dave Gilmour mit seiner Gitarre! Er war wunderbar. Er ist eben ein exzellenter Gitarrist. Er kam einfach rein und legte los.

Wie bist du auf das Trio Bulgarka gekommen?

Mein Bruder Paddy hatte mir drei Jahre vorher ein Band mit dem Trio Bulgarka vorgespielt. Ich erinnerte mich plptzlich daran, als ich etwas suchte, was zu den irischen KlYngen in THE SENSUAL WORLD pa{te. Ich besuchte das Trio in Bulgarien. Es war schwierig, weil ich kein Wort Bulgarisch sprach und sie kein Wort Englisch. Aber sie luden mich einfach in ihre HYuser ein, und dann sangen sie mir etwas vor. Die drei Frauen sa{en um den Kvchentisch herum. Ava, die lteste, nahm den TelefonhYrer auf uns summte den WYhlton nach, und dann fingen sie an zu singen. Es war so schpn, da{ mir die TrYnen kamen. Ich habe noch nie so schpne Stimmen gehprt. Wir haben uns dann auch im Studio hauptsYchlich durch Umarmungen verstYndigt. Sie bemutterten mich ein bi{chen. Durch sie kam eine ganz neue Komponente in meine Musik.

Es ist ja nicht das erstemal, da{ du Elemente aus anderen Kulturen in deine Musik einbaust.

Dies ist meine weiblichste Platte. Die Rockmusik wird von MYnnern beherrscht, von mYchtigen Drumsounds und kfYftigen BYssen. Das sind die typischen Macho-Sounds. Ich wollte weibliche Stimmen und weibliche Arrangements draufsetzen. Ich wollte die weibliche StYrke herausstellen. Die bulgarischen SYngerinnen klingen sehr feminin, aber auch sehr kraftvoll. Die meisten Frauen lassen immer noch ihre Platten von MYnnern produzieren und sich sogar ihre Songs von ihnen schreiben. Ich hoffe, das klingt nicht sexistisch, die MYnner haben eine Menge in der Musik erreicht. Aber die Frauen bekommen immer noch zu selten eine Chance, ihre eigene StYrke rauszustellen.

In dieser Hinsicht hast du doch aber nie Anla{ gehabt, dich zu beschweren...

Ich habe Glvck gehabt, da{ ich meistens mit sehr sensiblen MYnnern gearbeitet habe. Wenn ich im Studio bin, fvhle ich mich meistens nicht besonders weiblich. Ich arbeite einfach. Aber viele Frauen werden dazu gezwungen, sich aggressiv wie ein Mann zu verhalten, um sich durchzusetzen. Sie nehmen typisch mYnnliche Verhaltensweisen an. Das ist schade.

Deinen ersten Hit WUTHERING HEIGHTS hast du nach dem Buch von Emily Bronte geschrieben. Der Titelsong deines neuen Albums hat die "Ulysses" von James Joyce als Vorlage. Du bedienst dich offensichtlich gern aus Bvchern.

Dabei bin ich nicht sonderlich belesen. Ich habe auch keine besonders gute Ausbildung gehabt. Aber ich finde, da{ Bvcher ausgezeichnete Ideenlieferanten sein kpnnen. Deshalb greife ich immer wieder auf Bvcher zurvck.

Und nach welchen Kriterien suchst du dir deine Vorlagen aus?

Ich gehpre nicht zu den Leuten, die stundenlang in einem Buchladen herumstpbern. Ich sto{e immer zufYllig aus [sic] interessante Bvcher. Bei CLOUDBUSTING war es beispielsweise so, da{ mich das Buchcover so faszinierte, obwohl nichts Besonderes drauf war. Es stellte sich dann heraus, da{ darin das bewegenste Buch war, das ich je gelesen habe. Und neun Jahre spYter machte ich daraus den Song CLOUDBUSTING. Ich hatte damals das Gefvhl, das Ganze sei so fvr mich vorbestimmt. Denn es gab keinen bestimmten Grund dafvr, gerade dieses Buch zu kaufen. Es mag sich vberheblich anhpren, aber die meisten Inspirationen kamen zu mir, ohne da{ ich etwas dafvr tun mu{te. Ich glaube, wenn ich eigens losziehen wvrde und nach einer Anregung suchen, dann wvrde ich garantiert nichts finden.

Die Charaktere in WUTHERING HEIGHTS und [THE] SENSUAL WORLD sind sehr unterschiedlich...

Total. Die einzige Parallele liegt darin, da{ in beiden Songs die Hauptfigur eine Frau ist. Damals Kathy [sic] und jetzt Molly. Bei WUTHERING HEIGHTS hatte mich die Geschichte fasziniert. Das war *die* Love Story. Nicht mal der Tod konnte Kathy von ihrem Geliebten trennen. Diese Liebe! Diese Leidenschaft! Bei der Ulysses hat mich die Sinnlichkeit des Schreibstils fasziniert. Nicht die Geschichte selbst, sondern die Worte und die Art, wie sie benutzt wurden. Es ist ein au{ergewphnlichens Stvck. Sehr schpn.

Warum hast du nicht Joyces Originaltext verwendet?

Ich habe nicht die Genehmigung dazu bekommen. Das hat mich sehr enttYuscht. Ich habe hart darum gekYmpft. Am Ende sagte ich mir: Gut, dann schreibe ich eben einen eigenen Text mit demselben Inhalt. Das war unglaublich schwierig. Schlie{lich bin ich nicht James Joyce.

Der starke Bezug zur SexualitYt aus dem Joyceschen Original ist aber geblieben...

Das wird im Original durch die Art, wie das Wort "Yes" benutzt wird, unterstrichen. Vor allem diese Passage am Ende hatte es mir angetan, weil sie so schpn sinnlich und rhythmisch ist. Wie ein einziger langer Satz, der nie zu Ende geht. Wie ein ellenlanger Gedankenzug. Ich war wie verzaubert. Ich habe das in meiner Version etwas entschYrft. Und ich finde auch, da{ bei der Ulysses die Betonung eher auf der Sinnlichkeit als auf purer SexualitYt liegt. Ich mache mir Sorgen, weil viele Leute das anders verstehen. In dem Song steigt die Hauptfigur aus ihrer schwarzwei{en, zweidimensionalen in die richtige Welt um. Der erste Eindruck ist die Sinnlichkeit dieser Welt. Die Tatsache, da{ man Dinge anfassen kann, da{ man die Farbe der BYume sehen, das Gras unter den Fv{en fvhlen kann. Die Tatsache, da{ wir von so viel Sinnlichkeit umgeben sind. Wir nehmen sie gar nicht mehr wahr. Aber ich bin mir sicher, da{ jemand, der das alles vorher nicht erlebt hat, davon vollkommen vberwYltigt w!
Yre.

In deinem Song THE FOG geht es ums Erwachsenwerden. Hast du dieses Thema gewYhlt, weil du letztes Jahr die Schallmauer von 30 Jahren durchbrochen hast?

So aufregend fand ich es gar nicht, 30 zu werden. Ich glaube nicht, da{ der 30. Geburtstag eine Art Schallmauer darstellt. Ich glaube eher, es kommt auf die Jahre danach an, auf das, was man danach tut. Es is eine Zeit, in der sich viel verYndert und in der man endgvltig erwachsen werden sollte.

Welche VerYnderungen stehen dir in den nYchsten Jahren ins Haus?

Ich wei{ es nicht. Wenn ein Album fertig ist, habe ich meistens das Gefvhl, da{ ich gleich noch eines machen kpnnte. Weil ich gerade so schpn im Schwung bin. Statt dessen mu{ ich mich gerade dann aus dieser Phase losrei{en und mich wieder in anderen Bereichen bewegen. Jetzt zum Beispiel liegt die Promotion fvr dieses Album an.

Diesmal hatte ich es allerdings zum Schlu{ satt, so lange im Studio zu kleben. Es kostete mich eine ungeheure berwindung, jeden Tag ins Studio zu gehen. Ich wei{, da{ das bei den meisten Musikern gegen Ende der Studioarbeiten so ist. Man schleppt sich ins Studio und denkt: Eigentlich mv{test du doch froh sein, da{ du dies alles hier machen darfst. Da hei{t es dann: Alle Energie zusammennehmen und nicht in die Gleichgvltigkeit abgleiten.

Also wird Kate Bush auch mit 65 noch Musik machen?

Das kann ich mim Moment nicht beurteilen. Vielleicht probier ich auch mal etwas ganz anderes. Obwohl ich die Musik wirklich liebe. Es wird zwar immer schwieriger. Anfangs, wenn ich ins Studio gehe, habe ich meistens das Gefvhl, ich mv{te mit dem Singenlernen ganz neu anfangen. Aber es macht auch immer mehr Spa{, tiefer ins Dickicht vorzusto{en und es zu erforschen. Da geht man dann durch einen enormen Lernproze{. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, auf etwas ganz anderes umzusteigen.

In welchen Bereich?

In den letzten Jahren hat sich bei mir die Idee herauskristallisiert, einen kleinen Film zu machen.

Mit einem eigenen Drehbuch?

Ich wvrde gern die Musik schreiben und auch Regie fvhren. Vielleicht wird es ein 20-Minuten-Film.

Wer ist dein Vorbild in dieser Richtung?

Schwer zu sagen. Der Film ist eine wunderbare Ausdrucksform. Es gibt so viele gute Filme. Mein Lieblingsregisseur ist Alfred Hitchcock. Er war so klug. Seine Kameraeinstellungen waren einmalig. Es war, als hYtte er eine eingebaute Kamera in seinem Kopf gehabt. Viele Regisseure versuchen auch heute noch, ihn zu kopieren. Aber keiner reicht an sein Kpnnen heran. Genau wie die Musik ist der Film ein wunderbares Vehikel fvr die Flucht aus dem Alltag. Oder dafvr, die Leute mit bestimmten Themen zu konfrontieren. Die Kunst besteht darin, da{ man dabei immer unterhaltsam bleibt.

Wirst du nach zehn Jahren Pause von der Bvhne endlich wieder auf Tournee gehen?

Ich fvhle mich geehrt, da{ ich nach so langer Zeit immer noch danach gefragt werde. Manchmal Yrgert es mich, ehrlich gesagt, auch. Aber es ist schon rvhrend, da{ mich die Leute auch nach dieser langen Pause immer noch auf der Bvhne sehen wollen. Trotzdem - im Moment plane ich keine Tour. Der Aufwand wYre einfach zu gro{.