** REACHING OUT **

Interviews & Articles


1985
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Fachblatt Musikmagazin
"Kate Bush Aufgetaucht"
by Andreas Hub
Nov. 85 (German)


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To the Reaching Out (Interviews) Table of Contents


Subject: Interview Fachblatt Musikmagazin 11-85, German original

Kate Bush Aufgetaucht

Mit Kate Bush hat man leichtes Spiel. Fast drei Jahre hatte sie sich in ihr Studio zurueckgezogen, ohne ein Lebenszeichen, geschweige denn eine neue Platte. Doch im Maerz hiess es aus den gewoehnlich gut informierten Kreisen: Kate Bush kommt im April mit neuer Platte nach Deutschland! Weder sie noch die Platte kam. Immerhin, im Sommer tauchte sie mit "Running Up That Hill" nach Jahren wieder in den Charts auf. Nach "Babooshka" konnte sie damit den ersten Hit ueberhaupt landen und den groessten seit ihren Anfangstagen mit "Wuthering Heights". Dieses Lied aus der "The Kick Inside"-LP hatte die Dame 1978, damals eher noch ein Maedchen, mit einem Schlag beruehmt gemacht. Ihre fast unnatuerlich hohe, entrueckte Stimme und ihre typischen, kraftvollen Balladen, das war etwas, worauf ausnahmsweise eine ach so ausgelutschte Vokabel passte: Wunderschoen.

Dann kam, nachdem die Arbeiten zum ersten Album fast drei Jahre in Anspruch genommen hatten, mit "Lionheart" ein allzuschneller Nachzieher und mit "Never For Ever" ein drittes Album, das leider auch nicht den gewuenschten Erfolg hatte. Vorher hatte Kate Bush allerdings noch durch eine spektakulaere Tournee als Live-Naturtalent auf sich aufmerksam gemacht. Mit einer nahezu sensationellen Show aus Revue, Pantomime, Tanz und Gesang be- und verzauberte die grazile Schoene ihr Publikum, und das mit eisenharter Disziplin und Konzentration; selbst bei den akrobatischen Uebungen sang sie live. Nur bei "Hammer Horror" kam ihre Stimme vom Band. Leider sollte dies ein bislang einmaliges Erlebnis bleiben, festgehalten in dem Video "Live At Hammersmith Odeon" und auf einer hierzulande nicht erschienenen Live-LP. Danach wurde es ruhiger um Kate Bush. Die einst von David Gilmour entdeckte und gefoerderte Saengerin stand nicht mehr so sehr im Rampenlicht wie zu Anfang, machte wohl auch einen langwierigen Prozess der Identitaetsfindung durch, der auf ihrem vierten und bisher am schwersten zugaenglichen Album "The Dreaming" seinen Niederschlag fand. In oft duesteren Klangvisionen unternahm die einstige Maerchenfee hier Ausfluege in die Abgruende der menschlichen Seele. Das war vor gut drei Jahren, und nun sollte sie also wieder auftauchen. Fuer August wurde ein neuer Interviewtermin in Aussicht gestellt. Ein Treffen mit Kate Bush - da waere ein jahrelanger Wunsch in Erfuellung gegangen. Ich habe, diese persoenliche Randbemerkung sei erlaubt, wie vermutlich jeder Journalist ein paar Traum-Interviewpartner: Brian Eno, Peter Gabriel, Laurie Anderson, Kate Bush. Laurie Anderson war vor einem Jahr "faellig", Peter Gabriel habe ich zwar getroffen, aber nicht interviewt, auf Brian Eno warte ich noch, und Kate Bush...

Wieder abgesagt! Aber einen Monat spaeter gab es dann wirklich gruenes Licht - ich sollte zur Funkausstellung nach Berlin kommen, dort sei ein Gespraech moeglich. Wunderbar, dachte ich, setzte mich ins Auto, eine Vorabkassette der neuen LP "Hounds Of Love" im Recorder, und fuhr los - nicht wissend, dass zur gleichen Zeit alle 25 Interviews ersatzlos abgeblasen wurden, Stern und andere hochkaraetige Publikationen eingeschlossen. Treffpunkt Steigenberger Hotel Berlin, ich puenktlich und immer noch nichtsahnend, sie natuerlich nicht da, von der Plattenfirma auch keiner. "Kate Bush", naeselt der Mann am Empfang leicht von oben herab, "nein, Kate Bush wohnt nicht bei uns." Im selben Augenblick oeffnet sich neben mir eine Fahrstuhltuer - und sie steht vor mir. Kein Manager, niemand, der mich abwimmelt, dazwischen. Ich sage "Hallo, ich moechte gerne ein Interview mit dir machen!" Sie sagt, sehr englisch, sehr hoeflich, sehr bestimmt: "Tut mir leid, ich habe alle Interviews abgesagt, weil ich keine Zeit habe." Aber sie bleibt wenigstens einen Moment stehen und rennt nicht vorbei. Du hast keine Chance, aber nutze sie... Schwerstes Geschuetz auffahren - der Journalist als Fan, als heimlicher Verehrer. Ob das zieht? Ich probier's: "Hoer mal, auf diesen Moment habe ich sieben Jahre gewartet und hab' jetzt 1000 km Autofahrt auf mich genommen. Koennen wir das Interview nicht trotzdem machen?" Sie wieder, sehr englisch, sehr hoeflich und ein bisschen geruehrt: "Warte hier -ich guck' mal eben, was wir machen koennen..." Nach fuenf Minuten kommt sie wieder, komplimentiert mich unter einem Schwall von Entschuldigungen an einen Tisch - und legt los, erst 20 Minuten, schliesslich fast eine Stunde. Zufaelle gibt's... "Die gibt's doch nicht, das weisst du doch", lacht sie.

FACHBLATT: Nachdem ich ein Interview der amerikanischen Zeitschrift "Keyboard" mit dir gelesen hatte, erwartete ich eigentlich eine reine Fairlight-LP. Stattdessen gibt es eine Menge akustische Parts und sogar wieder ganz ruhige Klavierstuecke, fast so wie auf deiner ersten LP.

KATE BUSH: Interessanter Eindruck... Mir kommt es naemlich ganz anders vor. Ich finde, es ist mein bisher am wenigsten vom Piano gepraegtes Album geworden, weil ich beim Komponieren mehr oder weniger ganz auf den Fairlight umgestiegen bin. Alles, was man jetzt an Piano hoert, habe ich erst hinterher zugefuegt.

FACHBLATT: Du hast, genau wie bei "The Dreaming", wieder selbst produziert...

KATE: Ja, ich habe nach dem letzten Album mein eigenes Studio eingerichtet, und dadurch sind die Grenzen zwischen Komponieren, Aufnehmen und Produzieren noch fliessender geworden. Das ganze ist ein sehr organischer Prozess, weil alles nebeneinander und gleichzeitig passieren kann. Es gibt keine Demos im eigentlichen Sinne mehr. Ich nehme etwas auf der 24-Spur-Maschine auf und arbeite damit weiter, so dass das Demo im Prinzip schon das spaetere Master ist.

FACHBLATT: Aber das kann doch nicht immer so ganz reibungslos ablaufen. Wieviele Versionen gibt es von einer Idee, bis ein fertiges Stueck daraus wird?

KATE: Erstaunlicherweise hat es nur zwei oder drei Stuecke gegeben, die noch eine dramatische Aenderung erfahren haben. Die Basis fuer ein Stueck habe ich meist sehr schnell, die Ideen kommen oft explosionsartig, ein paar Melodiefetzen, ein paar Textfragmente. Aber bis das Stueck dann ganz fertig ist, kann sehr lange dauern und haengt natuerlich von der Komplexitaet eines Songs ab. In anderen Faellen habe ich die ganze Komposition fertig und bleibe dann plaetzlich beim Text stecken.

FACHBLATT: Greifen wir mal ein Beispiel raus, den Titel "Hello Earth". Da kommt erst eine sehr sanfte, von dir gesungene Melodie, waehrend der von einem Chor gesungene Refrain dazu in einem sehr strengen und abrupten harmonischen Kontrast steht. Das hoert sich sehr zusammengesetzt an, als waere es nicht in einem Rutsch entstanden.

KATE: Die "Initialzuendung" kam hier mit der Idee zum Inhalt des Songs, die die Struktur bestimmte. Die Strophe habe ich zuerst aufgenommen und auf den Teil fuer den Refrain nur eine Pilotspur mit einem Piano bespielt. Dann kamen die Musiker von der irischen Gruppe Planxty dazu und dann der Chor.

FACHBLATT: Hattest du dafuer immer echte Stimmen vorgesehen oder auch erst Stimmen aus dem Fairlight benutzt?

KATE: Es war immer klar, dass da ein echter Chor hinmusste. Nur die Auswahl der Saenger erwies sich als sehr schwierig. Dieser Refrain basiert auf einem Traditional, das ich irgendwann mal aufgeschnappt hatte. Was ich mir vorstellte, waren nicht so sehr klassische Chorstimmen, sondern welche, die irgendwie unheimlich und auch ein bisschen feierlich klingen mussten. Auf der anderen Seite gab es das Problem, keinen Druck auszuueben und die Leute so natuerlich wie moeglich singen zu lassen, weil gerade bei Chorgesang schnell eine posenhafte Kuenstlichkeit aufkommt. Zum Glueck kannte ich ueber einen Gig, den ich mal mit dem London Symphony Orchestra hatte, einen Mann namens Richard Hickox, der unheimlich viel Erfahrung mit Chorstimmen hatte. Ich habe ihn die Saenger aussuchen lassen. Fuer mich war das ganze eine ungemein spannende Erfahrung, weil ich nie zuvor mit einem Chor gearbeitet hatte.

FACHBLATT: Klingt fast nach Moenchen, die sakrale Musik singen.

KATE: Klingt ziemlich religioes, was?

FACHBLATT: Mir scheint der Song in der Tat eine uebertragene spirituelle Bedeutung zu haben. Ins Fade Out sprichst du ja auf Deutsch die Worte "Irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht."

KATE: Ja, das Stueck ist der Hoehepunkt der zweiten Seite, die einen durchlaufenden Handlungsfaden hat (dazu spaeter mehr). Es ist sowas wie ein Fiebertraum, das Delirium, bevor der letzte Song kommt, der ganz anders ist, von Hoffnung, Licht und dem anbrechenden Morgen handelt. "Hello Earth" ist ueber den Punkt, an dem du nicht weiterkannst, wo du sehr schwach bist. Und da bist du vielleicht bereit, die Dinge zu akzeptieren, jetzt, wo du am Ende deiner Reise angekommen bist. Du hast die Wahl: Dich zu aendern oder weiterzumachen und zu sterben. Das hat natuerlich auch eine religioese Komponente. Aber es faellt mir schwer, darueber zu reden, bzw. das zu erklaeren. Waehrend der Arbeit an den Stuecken weiss ich sowas viel genauer, wahrscheinlich, weil ich mich im Moment des Entstehens viel staerker mit dem verbunden fuehle, was da aus mir rauskommt. Wenn die Stuecke dann fertig sind, wollen sie fuer sich selbst sprechen. Sie sind dann nicht mehr laenger ein Teil von mir, sondern entwickeln ein Eigenleben.

FACHBLATT: Wie schaffst du es immer wieder, so eine starke Einheit von Musik und Text zusammenzubringen? Ich verstehe nicht alles, was du singst (meine Cassette enthielt keine naeheren Angaben oder Texte), aber ich fuehle, worum es geht. Es koennen also nicht die Worte sein. Kommen dir Musik und Textidee des Stueckes gleichzeitig?

KATE: Ja, oft ist es so, dass ich zuerst die Idee habe, wovon ein Song handeln soll und dann fallen mir parallel Worte und Musik dazu ein. Bei "Hello Earth" wusste ich z.B., dass es der dramatische Hoehepunkt der Geschichte sein wuerde. Dafuer musste die Strophe sehr langsam sein und der Refrain sehr heftig. Also, ich erklaer' mal, worum es geht. Wir reden ueber einen Sturm. Da ist ein Mensch bei Sturm ueber Bord gegangen und kaempft eine ganze Nacht gegen die Wellen, die Muedigkeit und die Gefahr, aufzugeben. Zu dieser Handlung habe ich alle Stuecke der zweiten LP-Seite geschrieben. Ein Konzeptalbum, oder zumindest ein halbes, das war eine Riesenherausforderung fuer mich und ein langgehegter Wunschtraum. Ich wollte mal etwas machen, wo ich nicht nach drei Minuten mit der Geschichte schon fertig sein muss.

FACHBLATT: Auch wenn es dir schwerfaellt, kannst du noch ein bisschen mehr ueber die Handlung erzaehlen?

KATE: Ich wuenschte, ich koennte dir einen Film dazu zeigen. Die Bilder wuerden viel leichter erklaeren, was ich vorhatte. Da geht also jemand ueber Bord, nachts. Er wird wahnsinnig muede, will resignieren. Dann ziehen seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft an ihm vorbei und versuchen, ihn wachzuhalten und durch diese nacht zu kriegen. Das sind natuerlich auch Metaphern fuer eine sehr tiefe innere Erfahrung, nach der man am anderen Ende als gelaeuterter Mensch wieder ans Licht tritt.

FACHBLATT: Also eine Art von spiritueller Transformation...

KATE: Ja, wie eine Wiedergeburt. Da ist einmal das aeusserliche, koerperliche Moment, und dann ein Prozess, der im Kopf ablaeuft, Gedanken, Reisen zu inneren Raeumen.

FACHBLATT: Wasser ist ja ein sehr vielfaeltig deutbares Symbol.

KATE: Ja, es beinhaltet auch das Gefuehl des Schwebens. Dazu kommt hier die Nacht, das Dunkel, der voellige Verlust von Raum- und Zeitgefuehl, die Abschirmung von allen aeusseren Eindruecken. Und wenn sowas geschieht, kommen sehr merkwuerdige Ablaeufe im Kopf in Gang.

FACHBLATT: Wie im Isolationstank...

KATE: Ja, obwohl ich selbst keine persoenlichen Erfahrungen damit gemacht habe.

FACHBLATT: Hast du vielleicht "Im Zentrum des Zyklons" von John C. Lilly gelesen, der ja als erster mit dem Tank experimentiert hat?

KATE: Gelesen leider nicht, aber ich habe Einiges ueber seine Arbeit gehoert, das ich sehr interessant fand.

FACHBLATT: Ich fuerchte, wir kommen langsam in Bereiche, die nicht unbedingt in eine Musikzeitung gehoeren... Reden wir also wieder ueber deine Musik. Der Unterschied zwischen deinem letzten Album "The Dreaming" und dem neuen "Hounds Of Love" ist frappierend. Ich hatte immer Schwierigkeiten, mir "The Dreaming" an einem Stueck anzuhoeren, weil es stellenweise sehr an den Nerven zerrte. Hat sich deine musikalische und/oder persoenliche Einstellung in den letzten drei Jahren so geaendert, dass du jetzt ein recht zugaengliches, streckenweise poppiges Album vorlegen kannst?

KATE: Die Musik ordnet sich bei mir immer dem Inhalt der Songs unter. "The Dreaming" war ein gefuehlsmaessig sehr intensives und oft bewusst aggressiv klingendes Album, weil es darum ging, wie schrecklich grausam Menschen sein koennen, was wir uns gegenseitig antun, welchem Mass an Einsamkeit wir uns gegenseitig aussetzen. Es war ein suchendes, fragendes Album und riss dich mit der Musik ganz schnell von einem Punkt zum naechsten. Es rief sehr extreme Reaktionen hervor, und es gab viele, die sich auf die Stimmung der Platte nicht einlassen konnten oder wollten. Ich war und bin damit allerdings sehr zufrieden, denn ich habe fuer mich damit definitiv erreicht, was ich erreichen wollte. Ich musste selbst erfahren, was ich da erforschen wollte, und jetzt habe ich die Erfahrung gemacht und kann mich anderen Zielen zuwenden. Ploetzlich konnte ich wieder tanzen gehen, habe einen Sommer ausser Haus verbracht, was ich jahrelang nicht gemacht hatte. Dabei habe ich mich so positiv gefuehlt, dass ich auch Songs schreiben wollte, die eine positive Grundstimmung vermitteln. Das war eine ganz neue Herausforderung, weil ich meine Inspirationen bis dahin eher aus schwermuetigen, duesteren Stimmungen bezogen hatte. Aber auf einmal konnte ich mich an Dingen begeistern, die leicht und beschwingt waren. Ich wollte ueber die positive Kraft der Liebe schreiben und nicht mehr ueber Menschen, die sich zerstoeren. Die ganze Energie, die sich dabei entwickelte, uebertrug sich auch auf das Album. Dabei wollte ich Liebe nicht nur als froehliche, lichtvolle Angelegenheit beschreiben, sondern sie in allen, auch ihren dunklen Aspekten zeigen. Die LP hat dadurch zwei sehr unterschiedliche Seiten bekommen. Die erste gibt einen Ausblick auf verschiedene Formen von Liebe und handelt durchweg von Beziehungen, und die zweite Seite geht tiefer, darum auch das alle Stuecke umfassende Konzept.

FACHBLATT: Beide Seiten sind ja auch musikalisch sehr unterschiedlich. Die erste enthaelt ein paar sehr tanzbare, rhythmische Titel. Hattest du erwartet, mit "Running Up That Hill" wieder einen richtigen Hit zu haben, oder war das nur ein schoener Nebeneffekt?

KATE: Ich habe irgendwann aufgehoert, mir in puncto Musikgeschaeft irgendwelche Erwartungen zu machen. Aber es ist natuerlich schoen, wenn dann eintrifft, was man haette erwarten koennen... Ich hatte immer schon das Gefuehl, dass es hoffentlich auch andere Leute gibt, die meine Platten moegen, wenn ich nur ein Maximum an persoenlichem Engagement in die Arbeit stecke. Und es funktioniert! Ist doch toll, was?

FACHBLATT: Und warum heisst die Platte "Hounds Of Love"? Das scheinen zwei widerspruechliche Begriffe zu sein.

KATE: Nein, das sind die Hunde, die den jagen - symbolisch natuerlich -, der sich vor der Liebe fuerchtet, der Angst hat, ihr in die "Falle" zu gehen. Aber es sind nicht wirklich boese Hunde, man kann ja auf dem Cover sehen, wie sanft und schoen die "Hounds Of Love" sind.

FACHBLATT: Empfindest du es eher als Vor- oder Nachteil, dass zwischen deinen Alben so viel Zeit vergeht?

KATE: So kann ich die Frage nicht beantworten, weil es einfach ist, wie es ist. Ich habe nie gesagt: Ich brauche zwei oder drei Jahre, um eine Platte zu machen. Ich habe einfach angefangen. Wo immer einen das hinbringt - solange es positiv und produktiv ist, gehe ich mit. Wenn du deine Arbeit aufrichtig und mit ganzem Herzen machen willst, wird Es dir schon sagen, was zu tun ist...

FACHBLATT: Aber draussen sagt dir niemand, ob du auf dem richtigen Weg bist. Jemand, der alle zwei Monate eine Single rausbringt, erfaehrt ganz schnell, wie die Kurse gerade sind.

KATE: Das ist in der Tat ein frustrierender Aspekt meiner Arbeitsweise. Ausserdem beschaeftige ich mich gern auch mit anderen Ideen und Projekten. Aber ich kann nicht weglaufen von dem, womit ich gerade zu tun habe. Das nimmt meine ganze Energie in Anspruch. Ich muss eben solche Opfer bringen, und bei mir dauert es nun mal laenger als bei anderen.

FACHBLATT: Wann hast du mit "Hounds Of Love" angefanten?

KATE: 1983 wurde das Studio gebaut und eingerichtet, und Anfang 1984 habe ich mit der Platte angefangen, also insgesamt 18 Monate dran gearbeitet.

FACHBLATT: In so langer Zeit kann sich viel aendern. Woher nimmst du die Sicherheit, dass du zum Schluss das noch gut und wichtig findest, was du am Anfang aufgenommen hast?

KATE: Naja, wenn etwas gar nicht funktioniert, weil man sich verrant hat, muss man auch den Mut haben, da abzubrechen, selbst wenn man schon viel Zeit und Arbeit investiert hat. Aber das kommt mir aeusserst selten vor, und bis auf die zwei, drei Stuecke mit gravierenden Aenderungen, die ich vorhin schon erwaehnte, haben sich die grundlegenden Strukturen nicht veraendert. Aenderungen gab es meist nur in den Feinheiten, wenn wir z. B. Fairlight-Geigen durch echte Streicher ersetzt haben. Viele Fairlight-Passagen wollte ich ja von vornherein durch echte Instrumente ersetzen.

FACHBLATT: Wer hat denn mitespielt?

KATE: Zum grossen Teil die Leute von der letzten LP, wie z. B. Eberhard Weber, Danny Thompson, Dave Lawson, Stuart Elliott, die Musiker von Planxty, mein Bruder, aber auch andere, wie John Williams.

FACHBLATT: In welcher Phase beziehst du die Musiker in die Arbeit ein?

KATE: Verschieden. Manchmal habe ich am Anfang nur ein Programm in der Linn-Maschine, zu dem ich ein paar echte Schlagzeugspuren einspielen lasse. Normalerweise spielen die Musiker aber auf ein "Demo", das aus Fairlight, Stimmen und Linn-Maschine besteht. Ich benutze allerdings auch viel Fairlight-Perkussion. Das Wichtigste an der Arbeit mit anderen Musikern sind die zusaetzlichen Anregungen, besonders, wenn ich vorher allein am Fairlight gesessen habe. Da sind Einfluesse von aussen sehr hilfreich. Ich brauche das Feedback, sonst wird es mir auf die Dauer zu langweilig. Es ist schoen, einfach mal in ein paar andere Gesichter zu sehen.

FACHBLATT: Bekommst du ausser von deinen Musikern noch anderes Feedback? Normalerweise steht ja noch ein Produzent daneben, der weiss und sagt, wo's langgeht.

KATE: Gerade das ist der Grund, warum ich selbst produziere. Es macht die Sache anstrengender, aber ich kriege am Ende genau das, was ich will, anstatt einem anderen zu erklaeren, was ich gern haette, der wieder dem Toningenieur zu erklaeren versucht, was ich wohl gemeint habe. Und dann muss der Toningenieur aus Worten Klaenge machen. Ich sage ihm direkt, was ich will, das ist schneller, einfacher und effektiver. Es gaebe allerdings, ich sage das mal mit aller Vorsicht, Leute, bei denen ich mir vorstellen koennte, mit ihnen zusammen zu produzieren, aber nur, solange ich die Einflussmoeglichkeiten behalte, die ich heute auf meine Produktionen habe. Wie ich eben schon sagte: Bei mir bildet das Komponieren und Produzieren im Arbeitsablauf annaehernd eine Einheit.

FACHBLATT: Gibt es da einen direkten Zusammenhang zu deiner "Entdeckung" des Fairlight als Dreh- und Angelpunkt deiner Studioarbeit? Du hast ja, wenn ich mich recht erinnere, seit dem Zeitpunkt ohne Produzenten gearbeitet, als du mit dem Fairlight angefangen hast.

KATE: Kein direkter Zusammenhang. Ausserdem stimmt es so nicht ganz. Ich habe auf meinem dritten Album schon mit dem Fairlight, wenn auch nicht mit einem eigenen, gearbeitet, war damals aber erst Co-Produzent. Den letzten entscheidenden Schritt konnte ich damals noch nicht tun, weil mir Mut und Fachkenntnisse fehlten. Man braucht ein enormes Mass an Kraft, um Kontrolle ueber seine eigene musikalische Arbeit ausueben zu koennen.

FACHBLATT: Welche generelle Bedeutung nimmt Musik in deinem Leben ein?

KATE: Musik nimmt mein ganzes Leben in Anspruch. Das ist immer ein Riesenberg an Arbeit, die genauso lange dauert, bis die naechste anfaengt. Musik bedeutet aber auch das Vergnuegen, die Stuecke von anderen zu hoeren. Musik ist alles fuer mich.

FACHBLATT: Ich habe gehoert, dass du auf ECM und Windham Hill besonders stehst...

KATE: Ja, und ich finde es gut, etwas so Schoenem wie der Musik dieser Labels ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Windham Hill ist ja in England fast voellig unbekannt, waehrend ECM durch Pat Metheny oder Eberhard Weber eine etwas groessere Popularitaet geniesst.

FACHBLATT: Ich stelle mir vor, auf sehr harmonische Klaenge bedachte Kuenstler wie die meisten von Windham Hill haben es besonders schwer in einem so trendbeherrschten Musikmarkt wie dem englischen. Wenn man deine Platten Revue passieren laesst, die erste vielleicht ausgenommen, finden sich eigentlich nie Stuecke, die einfach nur schoen sind. Irgendwann kommt immer ein Bruch. Traust du dich nicht, einfach mal ein "nur" schoenes Stueck zu schreiben?

KATE: Schwer zu sagen. Wenn ich schreibe, versuche ich, auf etwas zu kommen, was mir noch besser gefaellt als die Idee vom Moment vorher. Und wenn es sich fuer mich gut anhoert, aus dem sanften Charakter auszubrechen, tue ich das selbstverstaendlich ohne bestimmten Regeln zu folgen.

FACHBLATT: Wie steht's mit Auftritten? Gibt es Hoffnung?

KATE: Das ist schon verrueckt, weil ich immer gern will, aber irgendwie klappt es nie. Bis zur letzten LP hatte ich nicht genug Material, um mit einem komplett neuen Programm auftreten zu koennen. Als ich die ganze Promotionsarbeit fuer "The Dreaming" hinter mir hatte, musste ich mir ueberlegen, ob ich auf Tour gehe oder mein Studio einrichte und eine neue Platte ins Auge fasse. Naja, jetzt stehe ich schon wieder am Ende der Arbeit fuer die Platte, mache Promotion, drehe Videos und eigentlich wuerde ich jetzt am allerliebsten den besagten Film zu der zweiten LP-Seite realisieren. Wenn das aber aus irgendwelchen Gruenden schief gehen sollte, werde ich wieder ueber eine Tour nachdenken...

FACHBLATT: Empfindest du das ganze Drumherum gegenueber der konzentrierten Arbeit im Studio als Stoerung?

KATE: Als stoerend nicht, aber als belastend schon. Ich versuche, soviel Zeit wie moeglich in kreative Prozesse zu stecken. Wenn ich mit einer Platte fertig bin, bleiben immer noch genug kreative Arbeiten uebrig, seien es B-Seiten oder Videos, die sich dann mit der notwendigen Oeffentlichkeitsarbeit in die Quere kommen. Ich bin natuerlich von einem gewissen Mass an Erfolg abhaengig, um mir auch das naechste Album noch leisten zu koennen. Und dann muss ich leider zeitliche Kompromisse bei den Dingen eingehen, die mir wichtiger sind. Um das soweit wie moeglich einzugrenzen, gebe ich kaum Interview. Ich finde das auch voellig gerechtfertigt, weil ich meine eigentliche Arbeit fuer wesentlicher halte. Der einzige Grund, warum ich hier ueberhaupt sitze, ist der, dass ich lange Zeit an einem Album gearbeitet habe und das mitteilen moechte. Aber wenn ich drei Jahre damit verbracht haette, Journalisten zu treffen und Promotion zu machen, dann gaebe es keinen Grund, hier zu sitzen...

Andreas Hub


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